Nach den Vorbereitungen, die knapp ein halbes Jahr benötigten, wurde dann das Gespräch zwischen zwei Gruppen eröffnet, die am deutsch-deutschen Dialog und aneinander Interesse fanden (13.-15. Mai 1988 in Nordhausen). Die historische und politische Figur Thomas Müntzers war für die ganze Gruppe ein sehr spannendes Thema, das neben der historisch theologischen Auseinandersetzung nie aktuelle Züge vermissen ließ. Die besondere Gruppenkonstellation lässt sich durch ein dialektisches Verhältnis beschreiben. Auf der einen Seite des Spannungsfeldes stand gegenseitige Fremdheit, eine ganz andere Gesellschaft, andere Sprachgewohnheiten, ja ganz andere kulturelle und politische Erfahrungen. Gerade wegen dieser Fremdheit, wurde das gleichzeitige Gefühl der Nähe besonders intensiv wahrgenommen: „Diese Menschen aus dem anderen deutschen Staat begeistern sich ebenso dafür, der Frage nachzugehen, wer Thomas Müntzer war. Sie sind wach und interessiert, nicht nur an ihrem eigenen Umfeld, sondern auch an meiner Lebenssituation. Sie sind mir in vielem erstaunlich ähnlich.“
Dieses gegenseitige Interesse ließ die Beteiligten mit einem Hochgefühl durch das Wochenende gehen, so dass es am Ende einhellig klar war: „Lasst uns weitermachen!“
Intensiv wurde über weitere spannende Themen nachgedacht. Angeregt durch Victor Klemperers Werk „LTI“ (Lingua Tertii Imperii) fiel die Wahl auch auf die letzte gemeinsame Sprachwurzel, die Sprachregelungsmechanismen im „Dritten Reich“. Neben dem historischen Verstehen der subtilen propagandistischen Mechanismen war auch hier das Interesse, in einem zweiten Schritt zu untersuchen, was und an welcher Stelle vom Instrumentarium der LTI in den Sprachgebrauch der deutschen Staaten übernommen wurde, sei es in gleicher Form oder in Variationen. Die Auseinandersetzung mit einem Teilaspekt des Nationalsozialismus war natürlich auch vor dem Hintergrund eines ausgesprochen unterschiedlich „praktizierten Antifaschismus“ in Ost und West interessant.
Es fanden bis heute regelmäßig zwei Mal im Jahr Folgeseminare statt. Ganz besonders für die ersten Seminare wurde bei der Themenfindung darauf geachtet, dass die Fragestellung sich aus der jeweils unterschiedlichen deutsch-deutschen Perspektive zu lohnen versprach. Bei den späteren großen Seminaren (weitere kleinere Veranstaltungen kamen noch hinzu) trat dieser Aspekt als explizites Auswahlkriterium nach und nach in den Hintergrund. Implizit kommt er jedoch ganz besonders durch die persönlichen Schilderungen in der Kleingruppenarbeit, bei der nach wie vor auf eine ausgewogene Ost-West-Verteilung geachtet wird, bis heute als ein wesentliches Spannungsmoment dieses Seminarzyklus zum Tragen.
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